Wieso gibt es keinen ICD10 Code und warum ist das auch gar nicht sinnvoll?

Veröffentlicht am 2. November 2024 um 09:19

Diese Frage stellen viele Teilnehmer meiner Vorträge. Hochsensibilität ist weder eine Krankheit noch eine Störung, sondern eine natürliche, evolutionär entstandene Variation im Nervensystem, die sich in etwa 15-20 % der Bevölkerung findet. Hochsensible Menschen haben eine besonders feine Wahrnehmung und reagieren intensiver auf Reize – eine Fähigkeit, die ursprünglich das Überleben einer Gruppe sichern konnte, indem sie Gefahren schneller erkannten und wertvolle soziale Bindungen förderten. Die meisten hochsensiblen Menschen kommen im Alltag sehr gut zurecht, vor allem, wenn sie und ihr Umfeld ihre Bedürfnisse nach Ruhe und Pausen respektieren. Schwierigkeiten entstehen eher dann, wenn von ihnen erwartet wird, dass sie diese Bedürfnisse über längere Zeiträume ignorieren, oder wenn sie ihnen das Umfeld das Gefühl vermittelt, sie seien unangepasst und ihre feine Wahrnehmung sei falsch. In den folgenden Fragen und Antworten gehen wir genauer darauf ein, warum Hochsensibilität weder diagnostiziert noch als Problem betrachtet werden sollte und welche Besonderheiten diese Menschen mitbringen.

  1. Gibt es einen ICD-10-Code für Hochsensibilität?
    Nein, Hochsensibilität ist nicht im ICD-10-Katalog (International Classification of Diseases) klassifiziert, da es sich hierbei um keine Krankheit oder Störung handelt, sondern um eine normale, evolutionär sinnvolle Variation in der Wahrnehmungsverarbeitung.
  2. Warum gibt es keinen ICD-10-Code?
    Der ICD-10-Katalog wird für die Klassifizierung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen verwendet. Da Hochsensibilität keine pathologische Einschränkung ist, sondern eine angeborene Veranlagung, gibt es keinen Grund, sie medizinisch zu klassifizieren. Stattdessen kann sie als besondere Fähigkeit zur feinen Wahrnehmung und empathischen Interaktion angesehen werden.
  3. Kann ich als Elternteil, Lehrkraft oder Betreuungskraft von Kindern und Jugendlichen unterscheiden, ob ein Kind „nur“ hochsensibel ist oder unter einer ernsten Störung, Depression, ADHS oder Autismus leidet?
    Ja, grundsätzlich ist es möglich, eine grundlegende Unterscheidung zu treffen. Hochsensible Kinder haben keine Verzögerungen oder Defizite in ihrer Entwicklung, sondern reagieren lediglich intensiver auf Umweltreize. Jedoch kann dauerhafter ungelöster Stress zu Erkrankungen führen. Bei ernsthaften Störungen wie Depressionen, ADHS oder Autismus treten oft zusätzliche Anzeichen wie Entwicklungsverzögerungen, extreme Verhaltensmuster oder auffällige soziale Schwierigkeiten auf. Falls jedoch Unsicherheit besteht und der Leidensdruck sehr hoch ist, kann die Einschätzung durch erfahrene Fachleute hilfreich sein, um eine gezielte Unterstützung sicherzustellen.
  4. Warum ist es wichtig, die Besonderheiten des Nervensystems und der Reizverarbeitung hochsensibler Menschen zu kennen?
    Das Verständnis dieser Besonderheiten hilft Eltern, Lehrkräften und Betreuungskräften, das Verhalten und die Bedürfnisse hochsensibler Menschen besser zu verstehen. Hochsensible Menschen benötigen häufig mehr Ruhe und Zeit zur Verarbeitung von Reizen, und wenn diese Bedürfnisse anerkannt werden, können sie ihre Stärken voll entfalten. Ignoriert man diese Besonderheiten jedoch, kann dies zu Überforderung und Stress führen. Kenntnisse über Hochsensibilität unterstützen daher eine positive Entwicklung und vermeiden Missverständnisse.
  5. Leiden Jugendliche und Kinder unter ihrer Hochsensibilität, oder können sie diese als Potenziale erleben und sogar davon profitieren?
    Die meisten hochsensiblen Kinder und Jugendlichen erleben ihre Sensibilität als Bereicherung und Potenzial, solange sie in ihrem Umfeld Verständnis erfahren und ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Probleme entstehen oft erst dann, wenn sie selbst oder andere erwarten, dass sie ihre Sensibilität unterdrücken oder sich an übermäßige Anforderungen anpassen. Diese Erwartungen können zu innerem Druck führen, der dann als Belastung empfunden wird. Doch wenn sie lernen, ihre Stärken und Grenzen zu akzeptieren, können sie ihre Sensibilität als wertvolles Potenzial nutzen.
  6. Was kann ich tun, wenn der Leidensdruck des Kindes oder Jugendlichen groß ist und ich das Gefühl habe, ihm oder ihr nicht alleine helfen zu können?
    Wenn ein Kind oder Jugendlicher stark unter seiner Hochsensibilität leidet und dadurch Einschränkungen im Alltag hat, kann professionelle Unterstützung hilfreich sein. Langfristige Schwierigkeiten oder Stresssymptome entstehen meist dann, wenn hochsensible Menschen gezwungen sind, ihre Bedürfnisse dauerhaft zu ignorieren. In solchen Fällen kann ein erfahrener Therapeut oder Berater, der auf Hochsensibilität spezialisiert ist, dabei helfen, Wege zu finden, um den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und den Alltag besser zu bewältigen.

 

Diese Fragen und Antworten bieten einen ersten Überblick darüber, wie wichtig es ist, Hochsensibilität als natürlichen Wesenszug zu verstehen, der weder einer Diagnose noch einer besonderen Klassifizierung bedarf. Sie zeigt, dass ein respektvoller Umgang und das Wissen um die Besonderheiten dieser Menschen uns allen helfen können, eine empathischere und unterstützendere Umgebung zu schaffen. Es würde uns gut tun, wenn wir diese Unterstützung nicht nur den Hochsensiblen zukommen lassen, sondern wir jedem Menschen als Individuum mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Wünschen, Träumen und Nöten begenen und uns auf die Suche nach den verborgenen Potentialen machen. Dort schlummern wahre Schätze, die gehoben werden wollen.

 

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