Heute möchte ich eine Geschichte mit dir teilen, die mich tief im Innersten berührt hat.
Sie trifft mich mitten ins Herz, weil ich in meiner langjährigen Laufbahn als Erzieherin ganz ähnliche Erfahrungen gemacht habe.
Ich habe Kinder begleitet, die schon im Kindergarten vom System – oft vorschnell – aufgegeben worden waren.
Kinder, denen der Besuch einer regulären Kita verwehrt wurde, weil sie mit ihrem Verhalten den Rahmen sprengten.
Kinder, die verträumt und abwesend wirkten, denen man eine Förderschule nahelegte.
Andere waren voller Bewegungsdrang – „Zappelphilipp“ hätte man früher gesagt – oder konnten überhaupt nichts mit gleichaltrigen Kindern anfangen. Sie zogen sich zurück, tief in ihr Schneckenhaus.
Unser gemeinsamer Weg war ganz sicher nicht immer leicht – für die Kinder ebenso anstrengend wie für mich als ihre Erzieherin, ganz zu schweigen von den Eltern. Aber wir Erwachsene haben intuitiv gespürt, dass in jedem einzelnen Kind ein besonderes Potential schlummert, dass nur darauf wartete entdeckt und entfaltet zu werden.
Aber lies selbst:
Als Mme Thompson ihre neue fünfte Klasse begrüßte, sagte sie, sie behandle alle gleich – doch das war eine Lüge. In der ersten Reihe saß Teddy Stoddard: still, ungepflegt, mit abweisendem Verhalten. Sie hatte wenig Geduld mit ihm und markierte seine Fehler mit einem breiten Rotstift.
Erst als sie seine Schulakte las, begann sie zu begreifen:
Im ersten Jahr wurde Teddy als fröhlich, intelligent und höflich beschrieben.
Im zweiten Jahr hieß es, seine Mutter sei schwer krank.
Im dritten: Die Mutter war gestorben, der Vater kümmerte sich kaum.
Im vierten: Teddy sei still, oft müde und allein.
Tief erschüttert über ihr eigenes Urteil, änderte Mme Thompson ihr Verhalten. Als Teddy ihr zu Weihnachten ein zerfleddertes Paket mit einem kaputten Armband und einem fast leeren Parfüm schenkte, lobte sie es von Herzen. Teddy blieb nach dem Unterricht und sagte leise:
„Sie riechen heute wie meine Mama.“
Von diesem Tag an unterrichtete sie nicht nur Fächer – sondern auch mitfühlend das Leben. Sie glaubte an Teddy, er blühte auf. Am Schuljahresende war er einer der Besten.
Jahre vergingen.
Ein Brief kam: „Sie sind die beste Lehrerin meines Lebens.“
Sechs Jahre später: Er beendete die Highschool mit Auszeichnung.
Weitere vier Jahre später: Er machte seinen Universitätsabschluss mit höchster Ehre.
Dann: „Ich bin jetzt Dr. Theodore F. Stoddard, M.D.“
Schließlich ein letzter Brief: Er würde heiraten. Ob sie – anstelle seiner verstorbenen Mutter – an seiner Seite stehen wolle?
Sie kam.
Mit dem alten Armband am Handgelenk. Und dem Parfüm auf der Haut.
Die glücklichste Lehrerin der Welt.

Wenn wir mit Kindern leben und arbeiten, liegt der Schlüssel in einer stabilen Beziehung – einer Beziehung, in der das Kind Vertrauen entwickeln kann. Einer Beziehung, in der es sich sicher fühlt, in der es spürt: Ich bin willkommen, so wie ich bin. Nicht weil ich funktioniere, sondern weil ich da bin.
Kinder brauchen das Gefühl, um ihrer selbst willen angenommen und geliebt zu werden – ohne Bedingungen. Erst auf diesem Fundament können wir gemeinsam mit ihnen nach Wegen suchen, um herausforderndes Verhalten zu verstehen und aufzulösen.
Fragen wir uns: Welche Bedürfnisse bleiben im Kind unbefriedigt?
Was will das Verhalten vielleicht sagen – als leiser oder lauter Hilferuf?
Maslows Bedürfnispyramide kann uns hier eine wertvolle Orientierung bieten: Sicherheit, Zugehörigkeit, Selbstwert – sie sind essenziell.
Gerade bei Kindern mit Lernschwierigkeiten oder anerkannten Diagnosen wie Trisomie 21, Autismus-Spektrum-Störungen oder AD(H)S sind wir besonders gefordert, achtsam zu beobachten.
Wann versinkt dieses Kind ganz in seinem Tun?
Was tut es gerne? Wobei ist es entspannt?
Wobei vergisst es seine Einschränkungen und beginnt, die Welt auf seine Weise neu zu erfinden?
Hier liegt unser Ansatz.
Hier können wir das Kind abholen. Es erfährt nicht länger Frust, sondern Freude. Nicht Ablehnung, sondern Anerkennung.
Und genau hier wächst es: sein Selbstbewusstsein, seine Neugier, seine Selbstwirksamkeit – und die ist der Schlüssel zu einem erfüllten Leben.
Ich erinnere mich an Kinder mit Trisomie 21, die mit Geduld, Liebe und individueller Förderung einen vollwertigen Arbeitsplatz fanden und zur beliebtesten Kollegin bei den Kunden gekürt wurden.
Ich denke an Kinder, denen die reguläre Grundschule beinahe verwehrt geblieben wäre, die mit der richtigen Begleitung ihre Berufsreife erlangten und ihre Ausbildung mit großem Erfolg abschlossen.
Oder an die „stillen Wasser“, die in der Kita nur im Flüsterton mit ganz wenigen Bezugspersonen sprachen und deren Namen später in der Zeitung standen, als Teil der bestandenen Abiturklasse.
Hätten sie das geschafft, wenn niemand an sie geglaubt hätte?
Wenn wir sie nicht bei der Entfaltung ihrer Potenziale und Lebensmission unterstützt hätten?
Unsere Haltung macht den Unterschied.
Beziehung vor Bildung.
Verbindung vor Leistung.
Denn erst, wenn sich ein Kind innerlich sicher fühlt, kann es wirklich wachsen.
Jedes Kind trägt einen Schatz in sich.
Wir müssen ihn nicht suchen – nur helfen, ihn zu heben.
Und vielleicht ist genau heute der Tag,
an dem wir einem Kind das Gefühl geben, genug zu sein.
Nicht irgendwann. Sondern jetzt.
Zur Quelle:
Die Geschichte von Teddy Stoddard ist eine viel zitierte und inspirierende Erzählung. Sie wurde in den 1970er Jahren durch den Vortrag "Three Letters from Teddy" von Elizabeth Silance Ballard bekannt. Sie erschien ursprünglich in der Zeitschrift Home Life Magazine (1976). Im Netz kursiert sie oft leicht verändert, manchmal mit dem Hinweis „nach einer wahren Begebenheit“, auch wenn sich die tatsächliche Existenz von „Teddy“ nicht belegen lässt. Aber wie bei vielen wahren Geschichten – vielleicht ist sie wahr, weil sie sich immer wieder in anderer Gestalt ereignet.

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