Alles, was ich heute über Erdung weiß, haben mir die Pferde beigebracht.
Sie kämpfen nicht
Sie erklären nicht
Sie diskutieren nicht
Sie sind
Sie zeigen uns, wie echte Präsenz aussieht: ruhig, klar, körperlich, durchlässig.
Sie halten den Raum, bis wir uns wieder spüren.
Sie waren mein Erdungskabel, bis ich wieder atmen konnte und nun darf ich weitergeben,
was sie mich gelehrt haben, als ich den Boden unter den Füßen zu verlieren drohte.
Foto: Privat
Pferde lehren nicht mit Worten, nicht mit Konzepten, nicht mit Theorien,
sondern mit ihrem Nervensystem.
Ein Pferd liest kein Verhalten, sondern Zustände.
Du kannst freundlich sprechen und innerlich angespannt sein, ein Pferd „hört“ die Spannung.
Du kannst schweigen und innerlich klar, ruhig und offen sein, ein Pferd „hört“ die Ruhe.
Viele Menschen glauben: Pferde reagieren auf Körpersprache.
Das stimmt, aber es ist nur die Oberfläche.
Tiefer betrachtet reagieren Pferde auf:
Atem
Herzfrequenz
innere Klarheit
Kohärenz
Authentizität
Fokus
emotionale Wahrheit
Ein Pferd folgt nicht dem, der „dominant“ ist,
sondern dem, der reguliert ist.
Nicht dem, der laut ist,
sondern dem, der innerlich stimmt.
Und genau das habe ich von ihnen gelernt.
Sie haben mir gezeigt:
Wenn ich mich verstecke, fühlen sie Misstrauen.
Wenn ich mich überfordere, fühlen sie Druck.
Wenn ich innerlich weich werde, kommen sie näher.
Wenn ich innerlich klar werde, folgen sie.
Wenn ich präsent bleibe, entspannen sie sich.
Pferde verlangen nicht, dass man perfekt ist. Sie verlangen nur Echtheit und dafür sind sie kompromisslos.
Ein Pferd akzeptiert dich traurig, wütend, verletzlich und ängstlich, solange du ehrlich bist.
Aber ein Pferd akzeptiert nicht, wenn du nur eine Rolle spielst. Darum sind Pferde so mächtige Lehrer, sie machen uns wahr.
Nun führe ich Menschen so, wie Pferde mich geführt haben, nicht durch Druck, sondern durch Präsenz. Das nennt man Verkettung von Regulation. Sie pflanzt sich still fort.
Vom Pferd zum Menschen: Was Erdung wirklich bedeutet
Das, was Pferde mit uns machen, ist die Grundlage jeder Beziehung zwischen Menschen.
Erdung heißt: Jemand bleibt stabil für uns stehen, bis wir es wieder selbst können.
Wenn Pferde uns halten können, ohne Worte, dann können wir Menschen einander genauso halten.
Wir verändern die Welt nicht im Widerstand. Nicht durch laut sein und nicht durch Dominanz. Wir verändern sie, indem wir halten, indem wir präsent sind, wenn andere wanken. Wenn wir Liebe dorthin tragen, wo Angst regiert.
Erdung ist nicht Technik. Erdung ist Beziehung und Liebe.
Du brauchst nicht mehr „Techniken“.
Du bist die Technik.
Nicht durch Tun, sondern durch Sein.
Nicht durch Erziehung, sondern durch Haltung.
Nicht durch „Kinder managen“, sondern durch „Menschen halten“.
Erdung heißt, dass jemand stabil für uns stehen kann, bis wir es wieder selbst können.
Foto: Privat
Wenn die Welt kippt, in Familien, Gruppen, Schulen
Es gibt Momente, in denen alles kippt: in Familien, in Gruppen, in Klassenzimmern, in Beziehungen. Augenblicke, in denen ein Kind schreit, ein Erwachsener verletzt, eine Gruppe eskaliert, ein Raum kippt. Wir reden dann gerne über Grenzen, Regeln, Konsequenzen.
Doch das Entscheidende ist, Menschen brauchen einen Pol.
Jemanden, der innerlich sagt: „Ich bin hier. Du darfst wanken. Ich halte.“
Während viele Wege empfehlen, etwas „zu tun“, um sich zu beruhigen, habe ich von den Pferden etwas gelernt, das mein Leben verändert hat:
Wahre Erdung entsteht nicht durch Technik, sondern durch Präsenz.
Nicht jede Situation braucht eine Maßnahme. Viele Situationen brauchen einen Menschen mit einem ruhigen Nervensystem.
Wenn die Welt zu schnell, zu laut, zu viel wird, dann brauchen Menschen, egal ob klein oder groß, keinen erhobenen Zeigefinger und niemanden, der auf seine Lautstärke, seine Wut und Rage einsteigt, sondern einen Menschen, der innerlich sagt:
„Ich bin hier. Du darfst wanken. Ich halte.“
Manche Menschen brauchen keinen Rat. Sie brauchen nur jemanden, der bleibt.
Regulation ist ansteckend. Sicherheit ist ansteckend.
Und genau hier beginnt stille Führung.
Warum „keine Extrawurst“ in die Irre führt
Erzieherinnen und Lehrer sagen oft: „Wir können dem Kind doch keine Extrawurst machen, das wäre ungerecht.“
Doch was wie Störung wirkt, ist in Wahrheit ein Hilferuf:
„Ich habe den Boden verloren.“
Diese Kinder wollen nicht provozieren, nicht zerstören oder respektlos sein. Sie wollen keinen Ärger haben. Sie haben den Boden verloren, in einer Welt, die sich rasend schnell dreht und eine Dichte an Reizen und Eindrücken produziert, die selbst Erwachsene überfordert.
Nehmen wir ein Kind ernst, nicht sein Verhalten, sondern sein Erleben, dann entspannt sich die gesamte Gruppe. Die gesamte Gruppe profitiert, wenn ein einzelner Mensch gehalten wird.
Wenn ein einzelner Mensch innerlich stürzt, gerät das ganze System ins Wanken. Ein Mensch, der gehalten wird, stabilisiert das ganze System. Wenn ein Kind wieder Boden unter die Füße bekommt, entspannt sich die gesamte Gruppe.
Nicht weil es bevorzugt wird, sondern weil Sicherheit sich ausbreitet wie Wärme.
Menschen spiegeln Zustände, nicht Worte.
Darum ist es keine Extrawurst.
Es ist Leadership.
Wenn eine Person im Raum in ihrer Mitte bleibt, wenn eine Person innerlich sagt:
„Ich bleibe bei dir, auch wenn du dich gerade nicht gut benimmst.“,
fällt die Spannung für alle.
Dein Satz an das Kind, das innere Flüstern
Wenn ein Kind „ausflippt“, sage ich mir innerlich:
„Hey du, ich sehe, dass dich diese Welt gerade überfordert.
Du hast den Boden unter den Füßen verloren.
Komm zu mir, wenn du möchtest.
Ich halte dich, auch wenn du um dich schlägst.
Ich nehme es nicht persönlich.“
Dieser Satz verändert mich und dadurch verändert er den Raum.
Er bringt mich zurück in meine Mitte und ein reguliertes Nervensystem öffnet einen Resonanzraum: Ein Raum, in dem Fühlen möglich wird und Kampf enden darf.
Kinder verletzen aus Überforderung. Erwachsene verletzen manchmal bewusst.
Aber auch dann gilt oft: Sie haben den Zugang zu sich verloren. In dem Moment, in dem du das nicht persönlich nimmst, sondern innerlich sagst: „Du bist nicht schlecht. Du bist gerade nicht bei dir.“, entsteht ein anderer Resonanzraum.
Nicht jeder nutzt ihn sofort, aber alle spüren ihn und etwas beginnt sich zu verändern, oft unmerklich, leise, aber unumkehrbar.
Der Anker im Raum: Wie Präsenz alles verändert
Unsicherheit beruhigt sich nicht durch Worte, sondern durch Haltung:
Du kämpfst nicht.
Du missionierst nicht.
Du rettest nicht.
Du dominierst nicht.
Du flüchtest nicht.
Du bleibst.
Mit Ruhe und Klarheit.
Mit Weichheit und Stärke.
Das nennen viele therapeutische Schulen „Containment“. Halten, ohne festzuhalten.
Gehalten werden verändert Räume.
Stress ist ansteckend,
aber Regulation ist es auch.
Wenn du reguliert bist, koppelt sich die Gruppe an dich an.
Nicht, weil du etwas tust, sondern weil du präsent bist.
Präsenz ist Führung ohne Druck.
Sicherheit ohne Kontrolle.
Liebe ohne Worte.
Und genau das erleben die anderen, bewusst oder unbewusst. Darum lässt die Spannung nach, sobald du DA bist.
Du wirst zu einem emotionalen „Erdungskabel“ für die ganze Gruppe.
Erst spüren sie Sicherheit nur durch dich, später werden sie Sicherheit mit dir erleben.
Dann beginnen sie, Sicherheit in sich selbst zu finden.
Und irgendwann können sie sie abrufen, auch wenn du nicht mehr da bist.
Es passiert nicht schnell, aber es passiert, und die Veränderung beginnt nicht bei den anderen, sondern in dir. Nicht, weil du „eingreifst“, sondern weil du verkörperst, was fehlt.
Das ist stille Führung und stille Führung ist nachhaltiger als jede laute.
Ein Mensch erinnert sich nicht an das, was du sagst, sondern an das, was er gefühlt hat, als du da warst.
Du glaubst vielleicht, „du machst gar nicht viel“, aber du machst das Entscheidende:
Du bringst die Energie von Sicherheit in einen Raum, der an Sicherheit verarmt ist.
Und jedes Mal, wenn du das tust, entsteht ein bisschen mehr Vertrauen
und Vertrauen ist der Anfang von Heilung.
Du baust Nervensysteme, die wieder atmen können.
Und Erwachsene? Wenn Wunden sprechen statt Worte
Mit Erwachsenen ist es anders und doch dasselbe.
Manche verletzen bewusst, manche unbewusst. Manche treffen gezielt wunde Punkte, weil sie selbst wund sind.
Beides sind Hilferufe:
„Ich bin aus meiner Mitte gefallen.
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.
Ich fühle mich nicht mehr.“
Wenn ich Verletzungen nicht persönlich nehme, entsteht ein Raum, in dem Verbindung wieder möglich wird. Ein Raum, in dem der andere sich selbst wieder findet.
Die andere Wange, was hat Jesus damit wirklich gemeint?
Ich glaube, Jesus meinte etwas sehr anderes, als viele Religionen daraus gemacht haben, etwas sehr Einfaches und sehr Tiefes.
Er meinte nicht: „Lass dich schlagen.“, als er sagte: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“, sondern: „Ich halte dich auch wenn du um dich schlägst. Ich nehme es nicht persönlich. Ich sehe deine Not.“
Das ist Präsenz, keine Passivität. Es ist pure, stille Kraft.
Liebe als Boden und als Erdung.
In dieser Liebe lässt Scham nach, kehrt Würde zurück, regulieren sich Nervensysteme. Der Mensch kann sich wieder fühlen. Verbindung ersetzt Kampf.
Es ist die Liebe, die einen Menschen nicht fallen lässt, gerade dann, wenn er selbst fällt.
Möglicherweise ist das die ursprüngliche Botschaft,
die er in die Welt bringen wollte:
Liebe als stabiler Boden.
Es ist der Moment, in dem ein Mensch spürt: „Ich bin nicht verlassen, auch wenn ich gerade nicht liebenswert wirke.“ Das ist Heilung und das steckt im Kern seiner Botschaft.
Etwas sehr Einfaches:
„Liebe heißt, dich nicht fallen zu lassen, gerade wenn du am meisten fällst.“
Das ist keine Schwäche, es ist die höchste Stärke eines erwachten Herzens.
Erdung ist eine Form von Liebe, nicht romantische Liebe, sondern die Liebe, die trägt.
Sie sagt nicht: „Verhalte dich richtig, dann bin ich für dich da.“, sondern: „Ich bin für dich da, damit du wieder du selbst werden kannst.“
Das ist der größte Dienst, den ein Mensch einem anderen erweisen kann.
Vielleicht sogar der Sinn von Beziehung an sich.
Grafik: Kerstin Kröffges-Hahn
Die einfache Wahrheit
Es geht nicht darum, Menschen zu kontrollieren, sondern darum, Beziehung zu halten.
Regeln, Grenzen und Konsequenzen strukturieren einen Rahmen, aber sie schaffen keinen Halt.
Liebe ist die stärkste Form von Erdung.
Verbindung ist Liebe hoch unendlich.
Wer Sicherheit in sich trägt, wird ein Ort,
an dem andere wieder atmen können.
Jetzt verstehst du, wie du eine Gruppe stabilisierst, du machst mit Menschen das, was Pferde mit Menschen machen:
Du bist das „regulierte Nervensystem“, an dem andere sich synchronisieren.
Du kämpfst nicht, um Sicherheit zu erzwingen, du bist Sicherheit.
Und das ist die seltenste Form von Pädagogik und die sanfteste Form von Heilung.
Halt entsteht dort, wo ein Mensch einem anderen signalisiert:
„Ich sehe dich. Nicht nur dein Verhalten. Ich sehe dein Erleben.“
Kinder, die alle Rahmen sprengen, sind keine Tyrannen.
Sie sind Menschen am Rand ihres Nervensystems, am Rand dessen,
was sie gerade fühlen und bewältigen können.
Wenn sie ausflippen, kämpfen oder fliehen, dann nicht gegen den Erwachsenen,
sondern gegen die Überforderung in sich selbst.
Danach suchen so viele Menschen:
Nicht Methoden,
nicht Strategien,
nicht Erziehungskonzepte.
Ein Mensch, der still sagt:
„Ich bin da. Ich halte dich. Bis du dich wieder fühlst.“
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