Sommer, Sonne - und ein flaues Gefühl im Bauch - Warum Zeugnisse Kinder stärken statt beschämen sollten

Veröffentlicht am 28. Juni 2025 um 18:23

 

Die Sonne scheint, das Schuljahr geht zu Ende, es liegt Sommer in der Luft, Ferienzeit. Dennoch spüren viele Kinder und Jugendliche in diesen Tagen kein unbeschwertes Aufatmen, sondern ein flaues Gefühl im Bauch. Keine Leichtigkeit, sondern Sorgen, denn die Zeugnisse stehen bevor.

 

Für manche Kinder ist der Zeugnistag mit Freude verbunden, für viele aber mit Anspannung, Druck und manchmal sogar mit Angst. Was, wenn ich enttäusche? Was, wenn meine Noten nicht reichen? Was, wenn mein Bemühen nicht gesehen wird? Was, wenn ich Ärger bekomme?

 

Bild: Freepiks

 

Zeugnisse: Subjektiver Blick auf ein komplexes Kind

 

Zeugnisse wirken auf den ersten Blick objektiv: als Zahlen in Buchstaben gegossen. Doch was in ihnen steht, ist in Wirklichkeit nur ein schmaler Ausschnitt aus dem, was Kinder im Schulalltag tatsächlich leisten.

Denn das, was sie zeigen können, hängt von so vielen Faktoren ab:

  • Fühle ich mich im Unterricht sicher und gesehen?
  • Kann ich Fehler machen, ohne Angst zu haben?
  • Habe ich eine gute Beziehung zur Lehrperson, die mich stärkt?
  • Wird mein Bemühen wahrgenommen, auch wenn das Ergebnis noch nicht perfekt ist?

 

Ein Kind, das sich zum Beispiel schwertut, im Unterricht das Wort zu ergreifen, aber herausragende schriftliche Leistungen erbringt, wird oft mit einem „befriedigend“ abgespeist. Die Diskrepanz zwischen den mündlichen Leistungen im Unterricht zu denen in den schriftlichen Leistungsnachweisen ist groß, so dass die mündliche Bewertung den Durchschnitt für die Endnote derart drücken kann, dass die Zeugnisnote um ein bis zwei Noten schlechter ausfällt. Für stille Kinder, die den Unterricht aufmerksam verfolgen, mitfühlen und mitdenken, ist das eine äußerst frustrierende Situation.

Die eigentliche Botschaft dahinter lautet: „Du bist zu still. Melde dich mehr, dann wirst du besser bewertet.“

Aber wenn es so einfach wäre, würde das Kind sich längst öfter melden. Vielleicht ist die Hürde innerlich einfach zu groß. Vielleicht braucht es Unterstützung, Sicherheit und Ermutigung. Ein Zeugnis, das signalisiert: „Ich sehe deine Stärken. Du bist nicht falsch.“

 

Was Zeugnisse auslösen, im Guten wie im Schlechten

 

Zeugnisse können motivieren, wenn sie das Bemühen, den Mut und die Entwicklung eines Kindes abbilden. Sie können aber auch entmutigen, beschämen oder Kinder in eine negative Selbstwahrnehmung treiben.

Denn die Botschaft, die viele Kinder zwischen den Zeilen lesen, lautet:
„Ich bin nicht gut genug. Ich kann nichts. Ich bin dumm.“

Dabei ist Lernen niemals eine gerade Linie. Es ist ein Prozess voller Umwege, Rückschritte, Wachstumsphasen und innerer Kämpfe. In den weiterführenden Schulen wird der Lernerfolg der Jugendlichen sehr stark durch die Höhen und Tiefen des hormonellen Chaos in der Pubertät beeinflusst, eine Phase des „Sich selbst und den Rest Welt in Frage Stellens“.

Gerade Kinder, die Hürden überwunden haben, über sich hinausgewachsen sind, verdienen Anerkennung und zwar unabhängig von der Zahl auf dem Papier.

Ein „ausreichend“ kann ein riesiger Erfolg sein, wenn es den Weg widerspiegelt, den das Kind gegangen ist. Doch durch die starre Formvorgabe eines Zeugnisses wird genau das nicht sichtbar.

 

Wie der Neurobiologe Gerald Hüther betont:

„Nur was der Mensch selbst für sinnvoll hält, was ihn neugierig macht, wird er langfristig behalten. Von außen initiierte Lernprozesse erreichen allenfalls das Kurzzeitgedächtnis.“ 

Und weiter: „Die Freude am Lernen ist Ausdruck der Freude am Leben.“

 

Diese Gedanken zeigen, wie entscheidend emotionale Verbundenheit, Sinn und positive Erfahrungen sind. Nicht nur für das Lernen, sondern für die gesamte Entwicklung eines Kindes.

 

Wie können wir Erwachsene helfen?

 

Was also können wir tun als Eltern, als Lehrkräfte, als erwachsene Bezugspersonen?

Wir können hinhören und da sein. Wir können unser Herz öffnen. Und wir können Kindern das geben, was sie am meisten brauchen: eine sichere Beziehungs- und Bindungsbasis, die ihnen vermittelt:

„Ich liebe dich, weil du bist.“
„Ich sehe deine Anstrengung, nicht nur dein Ergebnis.“
„Ich glaube an dich, auch, wenn du gerade zweifelst.“

„Ich gebe dir Halt, wenn du strauchelst“

 

Ist es eine gute Idee, gute Noten zu belohnen? Wichtiger wäre es Anstrengung zu würdigen, auch dann, wenn die Note nicht glänzt. Denn echter Lernwille wächst nicht aus Druck, sondern aus Ermutigung.

 

Wie wäre es, wenn wir Sätze sagen, wie:

„Ich weiß, wie schwer es dir fällt, dich im Unterricht zu melden - und ich finde es bewundernswert, dass du es trotzdem versucht hast.“
„Ich weiß, dass spontane Meldungen dich stressen - aber deine Bereitschaft, eine kleine Präsentation vorzubereiten, zeigt deinen Mut.“
„Ich sehe dich. Und ich bin stolz auf dich.“

 

Fünf Sätze, die Kinder nach einem belastenden Zeugnis stärken können

 

Diese Sätze kannst du deinem Kind sagen, schreiben, oder einfach still im Herzen fühlen. Sie bauen Brücken zurück ins Vertrauen und zeigen: Ich sehe dich. Du bist nicht allein.

  1. „Ich sehe, wie sehr du dich bemüht hast und das zählt für mich am meisten.“
  2. „Deine Note ist nur ein Ausschnitt, du bist so viel mehr als das.“
  3. „Was du gelernt hast, kann dir niemand nehmen, auch wenn es nicht im Zeugnis steht.“
  4. „Ich bin stolz auf deinen Mut und ich habe gesehen, dass es nicht leicht war.“
  5. „Du bist einzigartig und genau das macht dich wichtig für die Welt.“

 

Und vielleicht findest du in deinem Herzen ganz eigene Sätze. Sätze, die nur du sagen kannst. Denn du kennst dein Kind wie kein anderer Mensch.

„Beziehungen sind das wichtigste Lernfeld. Alles, was Kinder wirklich fürs Leben lernen, lernen sie durch Beziehung

– nicht durch Belehrung oder Bewertung.“

Gerald Hüther

Bild: Freepiks

 

Du bist wertvoll - unabhängig von jeder Zahl

 

Ein Zeugnis sagt nichts über deine Träume und Talente. Es kennt nicht deinen Mut und deine Leidenschaft. Es weiß nichts von den inneren Hürden, die du überwunden hast. Es kennt nicht deine Fantasie, nicht deinen Humor, nicht dein großes Herz.

Aber wir kennen dich.
Und wir sehen dich.

Du bist wertvoll, mit oder ohne Einser-Reihe.
Du bist genug, genauso, wie du bist.
Du darfst wachsen, in deinem Tempo.
Und du darfst Fehler machen; sie zeigen, dass du dich traust.

 

Auch Albert Einstein oder Marie Curie waren einmal Schüler bzw. Schülerin.
Sie trafen in ihrem Leben auf Menschen, die ihre Potenziale erkannten, auf Lehrende, die förderten, statt zu normieren.
Der Rest ist Geschichte: Die Welt profitierte von ihrer Andersartigkeit.
Vielleicht geht es uns heute nicht anders.
Vielleicht sitzen genau jetzt Schülerinnen und Schüler in unseren Klassenzimmern, die unser aller Zukunft mitgestalten werden.
Wir dürfen sie nicht verlieren.

 

„Kinder brauchen Ermutigung wie eine Pflanze das Licht.“

Gerald Hüther

 

Wenn wir ihnen das geben, was sie wirklich wachsen lässt - Vertrauen, Sicherheit und Anerkennung - dann entfalten sie ihre Potenziale ganz von selbst.

 

Lass uns die Welt

schöner machen für Kinder.

Nicht irgendwann,

sondern jetzt.

 

 

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