"Wenn das innere Haus brennt", Stressbewältigung für hochsensible Eltern

Veröffentlicht am 31. August 2025 um 20:33

 

Ein Morgen wie viele andere

 

Der Wecker klingelt, das Kind ist quengelig, will nicht zur Schule oder in die Kita, klagt über Bauch- oder Kopfschmerzen, die Brotdose muss noch gepackt werden und gleichzeitig wartet im Beruf ein voller Tag mit Terminen und Erwartungen.

Auf dem Weg zur Schule entsteht ein Missverständnis mit der Lehrkraft, das Kind ist verunsichert und als Elternteil spürt man, wie die eigene innere Anspannung steigt.

Vielleicht kommt dazu noch das Gefühl, funktionieren zu müssen, obwohl innerlich alles nach Ruhe ruft und da hat der Arbeitsalltag noch gar nicht begonnen!

Solche Momente kennen viele Eltern, besonders, wenn sie ein hochsensibles Kind begleiten.

Viele Eltern sind selbst hochsensibel und damit doppelt gefordert.

 

Es gibt Phasen im Leben, in denen wir alles geben: im Beruf, in der Familie, besonders wenn wir Kinder haben, die hochsensibel sind oder besondere Bedürfnisse haben. Eltern geraten hier oft an ihre Grenzen. Wir spüren zwar Müdigkeit, Verspannungen oder innere Unruhe, aber wir machen weiter.

Eltern wollen für ihr Kind stark sein, alles richtig machen und merken nicht, dass sie dabei über ihre eigenen Grenzen hinausgehen.

Zusätzlich zum Eltern-Sein kommt das Funktionieren im Beruf. Das ist besonders herausfordernd, wenn das Kind gerade eine schwierige Phase durchlebt, viel Zuspruch und Unterstützung braucht und in der Schule vielleicht Unverständnis oder Missverständnisse herrschen.

 

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Was passiert im Körper bei Dauerstress?

 

Stress ist zunächst eine gesunde Reaktion: Der Körper stellt Energie bereit, wir werden wachsamer und handlungsfähig. Doch wenn er dauerhaft anhält, kippt das System. Botenstoffe und Hormone geraten aus ihrem perfekt aufeinander eingespielten Gleichgewicht.

 

Stress ist nicht nur ein Gefühl. Er setzt im Körper eine ganze Kaskade in Gang: Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin schießen in die Höhe, Botenstoffe geraten aus dem Gleichgewicht. Das beeinflusst den Schlaf-Wach-Rhythmus, die Stimmung, die Verdauung und viele andere Prozesse, die durch Hormone und Neurotransmitter gesteuert werden, damit wir „durchhalten“.

 

Anfangs ist Stress noch regulierbar, doch wenn er anhält, werden Warnsignale wie Schmerzen oder Müdigkeit leiser, bis wir sie kaum noch wahrnehmen. Das macht ihn so gefährlich.

Das System macht uns taub, für unsere Schmerzen, für unsere Bedürfnisse, für unsere innere Stimme.

Wir kommen nicht mehr ins reflektierte Nachdenken, denn wir sind vom „Denker“ im Frontallappen wie abgeschnitten.

 

 Der gefährliche Kreislauf

Wer weiter funktioniert, obwohl der Körper längst Alarm schlägt, landet in einem sich selbst verstärkenden Kreislauf: Erschöpfung, Energiemangel, innere Unruhe und körperliche Beschwerden verstärken sich gegenseitig und führen auf Dauer zu chronischen körperlichen Schädigungen.

Wenn wir die Rauchmelder ausschalten (Schmerzmittel, Ablenkung), ohne das Feuer zu löschen, breitet sich der Schaden in unserem Haus nur weiter aus.

 

 

Warum gerade Eltern und Hochsensible betroffen sind

 

Eltern hochsensibler Kinder oder Kinder mit besonderen Bedürfnissen fühlen sich oft dauerhaft gefordert.

Viele sind selbst hochsensibel und nehmen die Sorgen und Stimmungen intensiver wahr. Sie wollen alles richtig machen, Perfektionismus treibt sie an.

Alte Glaubenssätze aus der eigenen Kindheit wie „Stell dich nicht an“ oder „Da musst du durch“ verstärken diesen Druck. Sie wollen ihre Kinder vor den schmerzhaften Erfahrungen der eigenen Kindheit bewahren.

Das Ergebnis: Sie übergehen ihre Grenzen, oft viel zu lange.

 

 

Kinder lernen am Vorbild

 

Kinder lernen nicht nur, was wir ihnen sagen, sie lernen vor allem durch das, was wir ihnen vorleben. Sie beobachten uns genau. Wenn wir selbst ständig auf Hochtouren laufen, lehren wir sie unbewusst, dass Dauerstress „normal“ ist.

 

Wollen wir wirklich, dass sie später ihr Leben so gestalten?

Wollen wir, dass sie als Erwachsene permanent im Hochleistungsmodus laufen und dabei ihre seelische und körperliche Gesundheit riskieren? Oder lehren wir sie Achtsamkeit, indem wir selbst achtsam mit unseren Kräften umgehen? Lernen sie, dass Pausen, Selbstfürsorge und das klare Benennen von Grenzen selbstverständlich und gesund sind?

 

Wie kann man mit Herausforderungen gesund umgeht? 

Wie grenze ich mich ab?

Wie finde ich Ruhe?

Wie sage ich respektvoll NEIN, wenn es zu viel wird?

 

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Tu deinem Leib etwas Gutes,

damit deine Seele Lust hat,

darin zu wohnen.
 Teresa von Ávila (1515–1582)
(Die spanische Mystikerin und Heilige)

 

 

Ermutigung und Bestärkung

 

Stress ist kein persönliches Versagen.

Er ist eine biologische Reaktion, die uns schützen will. Wenn wir lernen, seine Signale rechtzeitig wahrzunehmen und zu handeln, können wir wieder ins Gleichgewicht kommen.

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Heilung.

Die nächsten Schritte sind einfache Maßnahmen im Alltag, die uns helfen, wieder in unsere Kraft zu finden.

Indem wir uns selbst ernst nehmen, zeigen wir unseren Kindern den vielleicht wichtigsten Lerninhalt überhaupt:

Wie man in einer lauten, fordernden Welt gesund bleibt.

 

 

Erste Hilfe im Alltag: kleine Schritte mit großer Wirkung

 

Es braucht nicht immer eine Auszeit von Wochen. Schon kleine bewusste Handlungen im Alltag können helfen, den Kreislauf rechtzeitig zu unterbrechen.

Oft sind es kleine, einfache Werkzeuge, die uns helfen, wieder in unsere Mitte zu kommen. Vier davon möchte ich dir hier vorstellen, leicht anwendbar, wirkungsvoll und jederzeit verfügbar:

 

Die Atmung ist wie ein Schlüssel, den wir immer dabeihaben. Wenn wir gestresst sind, atmen wir meist flach und schnell, der Körper bleibt im Alarmzustand. Mit ein paar tiefen, bewussten Atemzügen kannst du gegensteuern: durch die Nase einatmen, langsam durch den Mund ausatmen. Jeder Atemzug sagt deinem Nervensystem: „Alles ist gut.“ So tritt Anspannung zurück, und Gelassenheit darf wieder Raum gewinnen.


Die Natur wirkt wie eine stille Therapeutin. Schon wenige Minuten draußen können den Blutdruck senken und das Stresslevel reduzieren. Studien aus Japan bestätigen das. Die Bäume schenken uns Terpene, Duftstoffe, die beruhigend wirken, und wir selbst spüren es beim Gehen: das Rascheln der Blätter, der Himmel über uns, der Boden unter den Füßen. Ein kurzer Spaziergang genügt oft, um die innere Stabilität wiederzufinden.


Bewegung bringt Körper und Gedanken in Fluss. Wenn Sorgen festhängen und sich im Kopf alles im Kreis dreht, hilft schon ein Spaziergang, lockere Gymnastik oder Tanzen im Wohnzimmer. Schritt für Schritt löst sich die Anspannung, der Atem wird ruhiger, und plötzlich finden sich neue Ideen oder Lösungen. Bewegung macht den Kopf frei und öffnet Türen, wo vorher nur Wände zu sehen waren.

 

EFT (Emotional Freedom Techniques) ist eine sanfte Klopftechnik, die belastende Gefühle spürbar lindern kann. Indem man bestimmte Punkte am Körper beklopft, löst sich Anspannung, fast wie ein Reset-Knopf für das Nervensystem. Ein Schüler mit Prüfungsangst kann zum Beispiel vor einer Arbeit kurz klopfen und spürt, wie Nervosität abnimmt und Konzentration zurückkehrt. EFT lässt sich unauffällig anwenden, egal ob in der Pause, zu Hause oder sogar unterwegs.

 

Diese kleinen Schritte sind oft unauffällig und lassen sich fast überall integrieren, ohne dass das Umfeld etwas bemerkt.

Du darfst aber auch äußern, wenn du dich gerade gestresst fühlst.

 

 

Langfristige Veränderungen

 

Selbstfürsorge etablieren: Kleine tägliche Rituale wie ein kurzer Spaziergang, ein Tagebuch oder eine Atemübung machen den Unterschied.

 

NEIN sagen lernen: Respektvolles Grenzen setzen bedeutet nicht Schwäche, sondern Selbstachtung.

 

Ressourcen auffüllen: Gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, Mikronährstoffe und Erholung sind die Basis.

 

Soziale Unterstützung suchen: Austausch mit anderen Eltern, ein unterstützendes Umfeld, professionelle Begleitung, niemand muss allein durch den Stress.

 

 

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Das Haus reparieren

 

Stress zu ignorieren, ist wie Rauchmelder auszuschalten, während das Haus brennt.

Schmerz und Stress sind keine Feinde, sondern Hinweise.

Sie sind der Rauchmelder unseres Körpers.

Wir müssen das Feuer löschen und die Schäden reparieren, nicht nur das Geräusch beseitigen.

Nur so bleiben das Haus, unser Körper und unsere Seele, dauerhaft bewohnbar.

Das bedeutet: Uns selbst mit Sauerstoff versorgen, um stark genug zu bleiben. Denn nur wenn wir selbst in unserer Kraft sind, können wir unsere Kinder unterstützen und stark und erfolgreich im Beruf sein.

 

Dauerhafte Gesundheit und Ausgeglichenheit entstehen dann, wenn wir nicht nur Symptome dämpfen, sondern wirklich hinsehen, verstehen und die Ursachen verändern.

 

Wenn wir lernen, früh die Bremse zu ziehen, auf uns selbst zu achten und bewusst kleine Pausen einzubauen, stärken wir nicht nur unsere eigene Stabilität, sondern schenken unseren Kindern gleichzeitig ein lebendiges Beispiel dafür, wie Balance und Selbstfürsorge gelingen.

 

 

Erst, als man den Zustand ihrer Seele kannte und da Ordnung hineinbrachte,

ging es mit dem körperlichen Leiden auch besser.

 

Pfarrer Kneipp

 

 

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