Empfindsamkeit, Risiko oder Geschenk für die psychische Gesundheit?

Veröffentlicht am 22. September 2025 um 10:26

 

Kennst du Erwin Schrödinger? Wenn ich seinen Namen höre, denke ich zuerst an den berühmten Physiker mit seiner rätselhaften Katze. Doch bevor er zum Nobelpreisträger wurde, war er ein hochsensibler Junge: pfiffig, neugierig, mit wachem Blick und einem wuscheligen Schopf, der unter seinem runden Brillengestell hervorlugte.

 

Das Besondere: Schrödingers Eltern erkannten früh seine feine Wahrnehmung und seine vielseitigen Interessen. Sie ließen ihn seinen eigenen Weg gehen, drängten ihn nicht in eine Form und schenkten ihm das Gefühl: „Du bist genau richtig, so wie du bist. Deine Gedanken sind wertvoll. Irgendwann werden sie für die Welt bedeutsam sein.“

 

Wie recht sie damit hatten!

 

Die Geschichte Schrödingers zeigt: Empfindsamkeit kann eine Quelle von Kraft, Kreativität, Tiefe und außergewöhnlichen Beiträgen sein, wenn sie von klein auf Raum zur Entfaltung bekommt.

 

Foto: Netzfund

Warum Empfindsamkeit kein Makel ist, sondern ein Verstärker

 

Die aktuelle Forschung

https://sensitivityresearch.com/de/sensitivity-matters-for-mental-health/

zeigt: Sensitivität bedeutet nicht automatisch Belastung.

Sie ist vielmehr ein „Verstärker“.

 

In ungünstigen Umgebungen erhöht sie die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen wie Ängste oder Depressionen. In unterstützenden, liebevollen Umgebungen dagegen kann sie zu einem enormen Potenzial für Kreativität, Empathie und innere Stärke werden.

 

Du kannst dir Hochsensibilität wie ein fein gestimmtes Instrument vorstellen: In einer lauten, hektischen und abwertenden Umgebung verstimmt es leicht. Doch in einem unterstützenden Umfeld bringt es Töne hervor, die andere Menschen tief berühren.

 

 

Wenn Feinfühligkeit zur Last wird. Was hochsensible Kinder schwächt

 

Viele hochsensible Kinder erleben nicht das Glück eines förderlichen Umfelds. Statt Vertrauen und Freiräume treffen sie oft auf starre Systeme. Wenn dein Kind in so einem Umfeld aufwächst, wirken mehrere Faktoren zusammen, die seine Feinfühligkeit belasten:

 

Abwertung / Unverständnis. Sätze wie „Stell dich nicht so an“, „Du bist zu empfindlich“ oder „Reiß dich zusammen“ treffen tief und untergraben das Selbstwertgefühl. Solche Worte lassen Kinder an sich zweifeln, statt ihnen Sicherheit zu geben.

 

Fehlende Gleichgesinnte (Isolation). Wenn Kinder keine Peers finden, die ähnlich fühlen, wächst schnell das Gefühl, „falsch“ zu sein. Freundschaften mit Gleichgesinnten sind ein wichtiger Halt, fehlen sie, entsteht Einsamkeit.

 

Leistungsdruck & Vergleichskultur. Notenstress, ständige Vergleiche („Deine Schwester schafft das doch auch!“) und das Gefühl, immer funktionieren zu müssen, setzen Kinder unter dauerhafte Anspannung. Das zehrt an der Seele.

 

Starre Lehrpläne & fehlende Spielräume. Wenn Schule und Angebote keinen Raum zum Vertiefen, Ausprobieren oder Fragenstellen lassen, bleibt wenig Platz für Neugier und eigenständiges Entdecken.

 

Mangel an Selbstwirksamkeit. Kinder, die nie erleben, dass sie selbst Lösungen finden dürfen, fühlen sich hilflos. Das Gefühl, nicht mitreden und nicht mitentscheiden zu dürfen, verstärkt Ängste und kann zur Verweigerung führen.

 

Übersozialisierung. Zu viel „Du musst dich anpassen“ und zu wenig „Du darfst du selbst sein“ entsteht häufig durch lange Betreuungszeiten in Kita und Schule. Die Folge: wenig Zeit für Individualität, Selbstfindung oder kreatives Freisein.

 

Emotionale Unsicherheit. Wenn Erwachsene unberechenbar reagieren, mal liebevoll, mal streng und abwertend, fehlt das Verlässliche. Diese Inkonsistenz erzeugt Unsicherheit und Stress.

 

Fehlende Verbindung zur Natur & fehlende Muße. Getaktete Tage ohne Rückzugsmöglichkeiten und ohne Naturerlebnisse entlasten das empfindsame Nervensystem nicht. Das führt oft zu Erschöpfung oder körperlichen Symptomen.

 

Reizüberflutung durch Medien. Dauerhafte digitale Stimulation überfüttert feine Nervensysteme, macht reizbar und blockiert kreative Prozesse.

 

Die Folge all dieser Faktoren ist oft klar: Kinder verlieren das Gefühl, dass ihre Empfindsamkeit wertvoll ist. Statt dass sich ihr Potenzial entfaltet, entsteht Belastung.

 

 

 Wie Hochsensibilität zur Kraftquelle wird, was Kinder stark macht

 

Damit Hochsensibilität zur Stärke wird, brauchen Kinder mehr als nur Schutz vor Überlastung. Sie brauchen Räume und Beziehungen, in denen ihre Feinfühligkeit als wertvoll erlebt wird. Wenn du deinem Kind diese Rahmenbedingungen schenkst, kann aus Empfindsamkeit eine echte Kraftquelle werden:

 

Resonanzräume. Erwachsene, die wirklich zuhören, spiegeln und die Empfindungen deines Kindes ernst nehmen, vermitteln: „So wie du fühlst, ist es richtig.“ Erkenne und fördere die Interessen und Talente deines Kindes, und schenke ihm Zeit und Raum, in denen es in Ruhe „fließen darf“.

 

Gleichgesinnte (Peergroup). Freundschaften mit Kindern, die ähnlich fühlen, geben das Gefühl von Zugehörigkeit. Dort erlebt dein Kind: Ich bin nicht falsch. Ich gehöre dazu.

 

Selbstwirksamkeit. Wenn Kinder erleben, dass sie etwas bewirken können, wächst das Vertrauen ins eigene Können. Wer Entscheidungen mitgestalten darf, fühlt sich weniger hilflos und trägt weniger Stress mit sich.

 

Sprache für Gefühle und Bedürfnisse. Hilf deinem Kind, Worte für das zu finden, was in ihm vorgeht. Wer seine Gefühle benennen kann, ist weniger überwältigt und kann sich klarer mitteilen.

 

Achtsame Kommunikation, Verständnis und Anerkennung. Ein Satz wie „Es ist gut, dass du so fein fühlst“ wirkt oft mehr als gut gemeinte Ratschläge. Zuhören, nicht bagatellisieren und gemeinsam nach Lösungen suchen stärkt.

 

Pausen, Routinen und Rituale. Verlässliche Strukturen und nachvollziehbare Regeln geben Sicherheit. Erkläre die Gründe hinter Regeln (z. B. „Zieh die Jacke an, weil es draußen kalt ist und regnet, so bleibst du trocken“), statt sie nur zu verordnen. Muße und Rückzugszeiten sind genauso wichtig wie Aktivität.

 

Selbstregulation. Lehre einfache Techniken wie Atemübungen, kurze Bewegungsphasen oder kleine Achtsamkeitsübungen. Auch Naturerlebnisse helfen dem Nervensystem, sich zu beruhigen.

 

Ressourcenorientierte Begleitung. Schau zuerst auf die Stärken deines Kindes. Wer in seinen Gaben gesehen wird, entwickelt Resilienz und über diese Stärken lassen sich auch Strategien entwickeln, um an vermeintlichen Schwächen zu arbeiten.

 

Stabile Beziehungen. Verlässliche, vorhersehbare Erwachsene geben Halt. Konsistenz in Verhalten und Sprache reduziert Unsicherheit und baut Vertrauen auf.

 

Natur und Muße. Zeit in der Natur und stille Momente ohne Vorgaben erlauben dem Inneren Raum, Balance zu finden und Kinder in ihren Interessen wirklich tief eintauchen zu lassen.

 

Wenn du diese Bedingungen bewusst gestaltest, schenkst du deinem Kind nicht nur Schutz, du legst den Grundstein dafür, dass seine Empfindsamkeit als Quelle von Kreativität, Mitgefühl und innerer Stärke erblühen kann.

 

Foto:Privat

 

Ein Bild, das Mut macht

 

Hochsensible Kinder sind keine „schwierigen Kinder“, sondern Kinder mit einer besonderen Ausstattung.

Ob diese Ausstattung im Laufe ihres Lebens zum Risiko oder zur Ressource wird, hängt entscheidend von den Erwachsenen ab, die dein Kind begleiten.

 

Wir haben es in der Hand! Was geben wir den Kindern mit auf den Weg?

 

Wenn wir ihnen Resonanzräume schenken, Gleichgesinnte finden lassen, ihre Empfindungen ernst nehmen und sie in ihren Stärken bestärken, dann kann Empfindsamkeit zu einer Kraftquelle für Gesundheit, Kreativität und Mitgefühl werden. Dann werden hochsensible Menschen zu einer Bereicherung für die Gesellschaft.

 

„Du bist genau richtig, so wie du bist. Deine Gedanken sind wertvoll. Irgendwann werden sie für die Welt bedeutsam sein.“

 

Und genau dieses Spannungsfeld möchte ich in einer kleinen Gegenüberstellung sichtbar machen, als Einladung an dich, mit anderen Augen auf Empfindsamkeit zu blicken. Welche Bedingungen stärken oder schwächen hochsensible Kinder?

Dieses Bild soll dir Mut machen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Empfindsamkeit von Anfang an als Geschenk erlebt werden kann.

 

Denn wenn wir den Weg mutig gestalten,

können die Kinder ihn mutig gehen.

 

 

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