Er-wachsen Vom Werden, Weben und Wurzeln

Veröffentlicht am 23. Oktober 2025 um 08:58

 

„Auch die Nacht ist ein Teil des Lichts.“
Novalis

 

„Niemand hat verraten, dass Erwachsen-Sein nicht besonders spaßig ist“,

dieser Satz begleitete mich eine ganze Yogastunde und darüber hinaus.

 

Erwachsen = Er - wachsen,

 

das Wort wirkte wie ein Zündfunke in mir.

Ich musste lächeln und nachdenken,

sehr tief nachdenken - welch ein Genuss!

 

Foto:Privat

Heißt erwachsen denn, „fertig“ zu sein?


Oder steckt in diesem Wort nicht etwas ganz anderes, ein lebendiger Prozess,

ein beständiges Werden?

 

Er-wachsen.
Das klingt nach Bewegung, nach Wandlung, nach Leben.
Nicht nach einem Ziel, das man erreicht, sondern nach einem Weg, der sich entfaltet.

 

Wie eine kleine Eichel, die auf dem Waldboden liegt - still, unscheinbar, halb bedeckt vom Laub.
Ich weiß nichts von meiner Größe, denke ich.

Ich halte mich für klein, vielleicht unbedeutend.
Und doch ruht in mir das Potential, eine mächtige Eiche zu werden - kraftvoll, verwurzelt, Heimat und Schutz für andere Lebewesen.

 

Zuerst wächst die Wurzel, suchend und vertrauend, dass sie Halt finden wird.
Die Eichel braucht keinen Beweis, dass die Erde sie trägt. Sie weiß es einfach.
Und so wächst sie in die Dunkelheit hinein, nicht im Trotz, sondern im Vertrauen.

 

Dann kommt der Winter. Eine Zeit des Stillstands, des Sammelns.


Die Wurzel sammelt Kraft, der Keimling schläft und genau in diesem Schlaf liegt das Vertrauen.
Denn Wachstum geschieht nicht im Stress, sondern im Rhythmus des Lebens.

Doch nichts ist verloren. In der Tiefe webt sich das Leben weiter,  unsichtbar, leise, geduldig.

 

Die Natur zeigt uns: Wachsen geschieht nicht nur im Licht, sondern auch in der Dunkelheit.

 

Oft beginnt alles mit einem einzigen Wort, ein kleiner Funke, der in uns etwas berührt, zum Schwingen bringt, uns in unbekannte Tiefen führt.
Wir denken, verweben, verbinden, bis aus vielen feinen Fäden ein großes Bild entsteht.
Dieses genussvolle Nachdenken ist keine Zerstreuung. Es ist eine Kraftquelle.
Manchmal wirke ich dann still, abwesend vielleicht, doch in mir selbst finde ich Antworten.
Das ist meine Art zu wachsen, nach innen und nach außen zugleich.

 

Wenn die Sonne zurückkehrt, bricht die Eichel auf. Aus der Wurzel wird ein Stamm, aus dem Stamm ein Baum, aus dem Baum ein Zuhause für Leben.


Auch wir dürfen uns entfalten, Schritt für Schritt, im Vertrauen, dass jede Phase ihren Sinn hat. Das, was sie im Verborgenen vorbereitet hat, zeigt sich im Licht.
Und plötzlich wird sichtbar, was schon immer da war: das Werden.
Das Leben entfaltet sich unaufhaltsam, zart und kraftvoll zugleich.

 

So dürfen auch wir er-wachsen, Schritt für Schritt, im Vertrauen auf unseren inneren Rhythmus

Wurzeln schlagen.

Kraft sammeln.

Neues wagen.

 

Vielleicht ist Erwachsen-Sein gar kein Zustand, sondern eine Bewegung.
Ein fortwährendes Er-wachsen, im Vertrauen, im Werden, im Mensch-Sein.

Wir müssen nicht immer Vollgas geben. 

Wir dürfen ruhen, lauschen, wachsen und dabei dem Leben erlauben, uns zu führen.

 

Selbst die Maslowsche Bedürfnispyramide lässt sich mit sanfterem Blick sehen.
Sie ist keine Stufenleiter, die wir hastig erklimmen müssen,
sondern eine Einladung des Lebens.


„Sieh her“, flüstert sie, „deine Wurzeln sind stark. Sie geben dir Halt und Sicherheit.
Wenn du bereit bist, lass neue Blätter wachsen. Blätter, die das Licht aufnehmen und dich nähren für den nächsten Schritt.“

 

Grafik: Kerstin Kröffges-Hahn

Er-wachsen und Er-wachen sind zwei Bewegungen derselben Kraft


Das Erwachen im Inneren ist das Wachsen im Äußeren.
Wenn wir wach werden für das, was in uns schlummert,
dann beginnt das eigentliche Er-wachsen, bewusst, lebendig und voller Freude.

 

So wird Er-wachsen zu einem Tanz zwischen Tiefe und Höhe, zwischen Wurzeln und Himmel.
Und vielleicht ist genau das die Freude am Leben:


Dass wir nie fertig sind.
Sondern ewig wachsen dürfen.

 

Denn wir sind nicht hier, um fertig zu werden.
Wir sind hier, um zu wachsen,
um das Leben durch uns hindurchfließen zu lassen,
um zu weben, zu werden, zu vertrauen.

 

Vielleicht liegt darin die größte Freiheit:
nicht mehr das Ziel zu suchen,
sondern dem Prozess zu vertrauen.

 

Und so darfst du dich erinnern:
du bist nicht klein, du bist eine werdende Eiche.
Du darfst wachsen, ruhen, dich neu erfinden.
Das Leben selbst küsst dich wach.

 

 

„Ein Baum, der stark sein will, wächst langsam.“
Friedrich Nietzsche

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.

Erstelle deine eigene Website mit Webador